
Ist Nicht-Monogamie der heilige Gral oder bloss ein Hype? Ganz ehrlich: Mir ist es egal, ob jemand sich für diesen Weg entscheidet, weil es gerade angesagt ist oder weil sie aus ihrem tiefen Inneren merkt, dass das ihr Weg ist. Solange alle Beteiligten respektvoll behandelt werden, freue ich mich über jede Konstellation, die funktioniert – und Raum für die Bedürfnisse aller schafft. Das gilt übrigens auch für monogame Paare. Während das Wissen in diesem Artikel sowohl mono- als auch poly-Beziehungen bereichern können, habe ich hier ein paar Impulse gesammelt, die den Einstieg in die Non-Monogamie erleichtern und helfen können, wenn es holprig wird.
Da es viele verschiedene Definitionen gibt, erkläre ich kurz, wie ich die Begriffe in diesem Artikel verwende.
- Monogam: Eine Beziehung, in der sexuelle und romantische Liebe ausschließlich
zwischen zwei Menschen geteilt wird (von mono = eins, gamos = Ehe) - Non-Monogamous: Jede Beziehung, die nicht monogam ist – z. B. Polyamorie oder Polygamie.
- Polyamor: Eine Beziehungsform, in der mehrere romantische Beziehungen nebeneinander bestehen (von poly = viele, amor = Liebe)
- Polygam/Offene Beziehung: Eine Beziehungsform, in der es sexuelle Kontakte außerhalb der Partnerschaft gibt, aber keine weiteren romantischen Bindungen.
- Monogamish: Überwiegend monogam, aber mit klar vereinbarten Ausnahmen – z. B. ist Flirten auf Partys erlaubt.
Vielleicht wunderst du dich, warum ich nicht von ethischer oder konsensueller Nicht-Monogamie spreche. Das ist Absicht. Ich glaube: Nicht-Monogamie ist nicht per se weniger ethisch oder weniger einvernehmlich als Monogamie. Im Gegenteil: Wenn wir ständig betonen, dass sie „ethisch“ sein muss, schwingt unterschwellig mit, dass sie es eigentlich nicht ist. Deshalb: Für mich braucht Non-Monogamie kein Extra-Label, um genauso respektvoll, verbindlich und liebevoll gelebt zu werden wie jede andere Beziehungsform auch.
Paradigmenwechsel: Von Labeln hin zu bedürfnisorientiertem Fluss
Ich lade dich zu einem grundlegenden Perspektivwechsel ein: Weg von festen, rigiden Labeln für Beziehungsformen – hin zu einem flexiblen, bedürfnisorientierten Miteinander. Dieser Ansatz erkennt an, dass sich die Gründe, weshalb wir eine bestimmte Beziehungsform wählen ständig verändern können: durch Lebensumstände, Gesundheit, Partner:innen oder einfach durch unsere Tagesform. Nichts bleibt für immer gleich. Warum also sollte ausgerechnet unsere Beziehungsform in Stein gemeißelt sein? Feste Label wie „monogam“ oder „polyamor“ können sich einengend anfühlen – und passen nicht immer zu dem, was wir gerade brauchen. Manche Menschen fühlen sich unter Druck, sich selbst oder ihre Beziehung klar einzuordnen – sei es durch gesellschaftliche Trends oder aus Angst, etwas falsch zu machen. Zum Beispiel: Die Sorge, dass eine einmal geöffnete Beziehung „für immer offen bleiben muss“ – und nie wieder in Monogamie zurückfinden kann. Vielleicht hast du auch schon von der Unterscheidung gehört zwischen „Poly als Lebensstil“ und „Poly als Identität oder innere Haltung“. Dieser Paradigmenwechsel lädt uns ein, genau hinzuspüren: Was brauche ich jetzt? Und welche Beziehungsform passt dazu gerade? Statt zu sagen: „Ich bin monogam“, könnten wir sagen: „Monogamie passt im Moment gut zu meinen Bedürfnissen.“ Diese bedürfnisorientierte und flexible Haltung fördert Anpassungsfähigkeit und mehr Raum, sich zu ändern.
Was motiviert dich zu Monogamie oder Nicht-Monogamie?
Wenn wir uns von festen Beziehungskonzepten lösen und hin zu einem bedürfnisorientierten Fluss bewegen, ist es hilfreich zu verstehen, warum wir bestimmte Beziehungsformen wählen. Nimm dir kurz Zeit – und schreib auf, welche Gründe du persönlich dafür hast, eine monogame oder nicht-monogame Beziehungsform zu leben
Typische Beweggründe für Nicht-Monogamie:
- Ego-Booster: Wenn ich mehrere sexuelle Partner:innen habe, stärkt das mein Selbstwertgefühl – ich fühle mich begehrenswert.
- Selbsterkenntnis: Durch intime Verbindungen mit verschiedenen Menschen
entdecke ich neue Seiten an mir. - Grenzen erforschen: Non-Monogamie erlaubt mir, meine Komfortzone zu
erweitern und persönliche Grenzen neu zu erleben. - Unerfüllte Bedürfnisse: Es gibt Bedürfnisse, die mein:e Partner:in nicht erfüllen kann – deshalb ist es mir wichtig, sie anderswo zu stillen.
Typische Beweggründe für Monogamie:
- Zeit & Energie: Non-Monogamie erfordert viel Kommunikation, Absprachen und
Rücksichtnahme – das kann (und will) ich gerade nicht priorisieren. - Sicherheit: Eine Öffnung fühlt sich bedrohlich an – ich habe Angst, meine:n
Partner:in zu verlieren. - Eifersucht: Ich möchte mich nicht mit Eifersucht auseinandersetzen müssen.
- Tiefe: Mir ist wichtig, mit einer Person über längere Zeit eine besonders tiefe
Verbindung aufzubauen.
Tipps für den Umgang mit Nicht-Monogamie
Basierend auf meiner Arbeit mit Klientinnen, Gesprächen mit Freund:innen, Literatur und eigenen Erfahrungen habe ich eine Sammlung von Learnings zusammengestellt: Wie kann man eine Beziehung öffnen, ohne über die eigenen oder fremden Bedürfnisse hinwegzugehen? Bitte beachte: Viele dieser Impulse stammen aus Kontexten, in denen ein Paar eine bestehende, verbindliche Beziehung
öffnet. Wir wissen: Es gibt viele Arten zu lieben – und Menschen, die non-hierarchische oder sehr fluide Formen von Polyamorie leben, haben häufig zusätzliche Bedürfnisse, die über den Rahmen dieses Guides hinausgehen. Nimm mit, was dich anspricht – und passe den Rest an deine eigene Konstellation an.
- Bedürfnisse innerhalb der Beziehung ansprechen: Viele Menschen öffnen ihre Beziehung, weil sie spüren, dass etwas fehlt. Wenn du dich z.B. in deiner Beziehung nicht frei fühlst, ist es ganz natürlich, dass der Wunsch nach mehr Autonomie außerhalb der Beziehung stärker wird. Doch anstatt Erfüllung nur im Außen zu suchen, ist es kraftvoll, im Innen anzusetzen: Sprich mit deinem:r Partner:in über das, was dir fehlt – und wie ihr es gemeinsam in eure Beziehung integrieren könnt. Das gilt nicht nur für Autonomie, sondern auch für andere Bereiche wie sexuelle Erfüllung, emotionale Nähe, Commitment / Sicherheit, Selbstverwirklichung. Nutze gern das Baum-Modell aus meinem kostenlosen Relationship Workbook, um deine Bedürfnisse sichtbar zu machen und neue Wege zur gemeinsamen Erfüllung zu finden.
- Das Tempo des langsameren Parts respektieren: Wenn eine Partnerin sich mehr Zeit wünscht beim Öffnen der Beziehung, ist es wichtig, diesem Tempo mit Respekt zu begegnen – um unnötige Verletzungen zu vermeiden. Aber Achtung: Das bedeutet nicht, dass der langsamere Part sich zurücklehnen darf und nichts tun muss. Vielmehr geht es darum, alle Bedürfnisse ernst zu nehmen und ein Tempo zu finden, das niemanden überfordert und niemanden ausbremst.
- In kleinen Schritten öffnen: Auch wenn du dir eine polyamore Beziehung mit viel Freiheit wünschst – denk daran: Dein:e Partner:in hat vielleicht Ängste, die Raum brauchen. Statt direkt voll einzusteigen, helfen kleine, behutsame Schritte. Zum Beispiel: erst mal flirten, vielleicht ein Kuss – und später, wenn Vertrauen gewachsen ist, mehr.
- Gemeinsam Swingen: Eine oft übersehene Möglichkeit ist das gemeinsame Erkunden von Dreier- oder Viererkonstellationen – also z. B. Swingen. Gerade für Menschen mit Ängsten kann das eine sanftere Option sein: Es bleibt weniger Raum für beängstigende Fantasien, weil beide dabei sind. Und es entsteht ein Gefühl von: „Wir erleben das zusammen – als gemeinsames Abenteuer.“
- Regeln & Grenzen verhandeln: Jede:r hat andere Grenzen – darum ist es
essenziell, darüber offen zu sprechen. Findet gemeinsam klare Absprachen, die euch beiden guttun. Beispiel: Vielleicht fühlst du dich wohl mit der Regel „nur Küsse“. Dein:e Partner:in möchte vielleicht erst mal „gar keine körperliche Nähe“, bis Vertrauen da ist. Beides ist okay – wichtig ist, dass ihr euch einig seid. Und dann: Haltet euch zu 100 % daran. Schon kleine Abweichungen ohne vorherige Absprache können tiefes Vertrauen erschüttern und viel Schmerz auslösen.
Wenn du dir unsicher bist, ob eine Handlung gegen eine Regel verstoßen könnte, lass sie sein und sprich lieber erstmal mit deinem:r Partner:in. Selbst, wenn dadurch evtl. ein aufregendes Abenteuer vertagt werden muss. Hier ein paar Beispiele für Themen, über die ihr Absprachen treffen könnt:
- Level an Intimität: Welche Form von körperlicher oder emotionaler Nähe ist mit anderen okay? Von Flirten und Küssen bis zu sexuellen Begegnungen – definiert gemeinsam eure Grenzen.
- Kommunikation: Wie und wann sprecht ihr über Dates miteinander? Manche möchten lieber gar nichts wissen. Andere wollen lieber erst nach einem Date erfahren, dass es stattgefunden hat, um währenddessen nicht so unruhig zu sein. Wieder andere fühlen sich sicherer, wenn sie vorher Bescheid wissen und sich innerlich vorbereiten können.
- Häufigkeit von Begegnungen: Wie oft trefft ihr andere Menschen – und wie vielngemeinsame Zeit ist okay?
- Safer Sex: Welche Vereinbarungen gelten für sicheren Sex mit anderen (z.B. nur mit Kondomen, Lecktüchern und Tests)? Möchtet ihr regelmäßige Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten machen?
- Außenkommunikation: Wie offen seid ihr gegenüber Freundinnen, Familie oder anderen Partner:innen? Was darf geteilt werden – und was bleibt privat? Berücksichtigt hier auch die Privatsphäre eurer Dates!
- Druck analysieren: Wenn du oder deine Partnerin euch unter Druck fühlt, die Beziehung zu öffnen, nehmt euch Zeit, die wahren Gründe dahinter zu verstehen. Welche Ängste oder Unsicherheiten stecken dahinter? Was sind eure inneren Best-Case- und Worst-Case-Szenarien? Beispiel: Eine Person fühlt sich unter Druck, weil sie Angst hat, Chancen zu verpassen – etwa neue Verbindungen, sexuelle Erfahrungen oder persönliche Entfaltung. Vielleicht denkt sie: „Wenn wir es jetzt nicht öffnen, ist es später zu spät – ich werde älter, mein Leben verändert sich …“ Die andere Person wiederum spürt möglicherweise Druck, alles zuzulassen, aus Angst, den geliebten Menschen zu verlieren. Gedanken wie: „Wenn ich ihn/sie nicht lasse, geht er/sie vielleicht zu jemandem, der mehr Freiheiten bietet.“
- Äußeren Druck reduzieren: Wenn du in anderen Lebensbereichen – z. B. im Job, im Freundeskreis oder im Alltag – wenig Erfüllung spürst, ist es wahrscheinlicher, dass der Druck entsteht, dass du wenigstens über die offene Beziehung das bekommst, was mir sonst fehlt. Das ist verständlich, aber erzeugt viel Druck. Schau dir deshalb auch die anderen Lebensbereiche an. Wo könntest du dir mehr Freude, Freiheit oder Sinn schaffen? Je erfüllter dein Leben insgesamt ist, desto weniger Last liegt auf der Beziehung – und der Wunsch nach Öffnung fühlt sich eher nach Erweiterung an, nicht nach Ersatz.
- Reflektiere bisherige Erfahrungen: Schau dir frühere Erfahrungen an, in denen es um Autonomie und Bindung ging. Vielleicht bist du in einem stark kontrollierenden Umfeld aufgewachsen. Oder du hattest eine frühere Beziehung, in der Eifersucht ständig präsent war. Dann ist es nur natürlich, dass du heute ein stärkeres Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung spürst. Sprecht darüber, denn manchmal kann allein das schon Druck nehmen.
- Gemeinsam bleiben – trotz Öffnung: Wenn ihr diesen Weg gemeinsam begonnen habt und euch genau das wichtig ist, dann nutzt eure Verbundenheit als Kompass. Fragt euch über die Monate immer wieder: Bringt uns das, was wir gerade tun, weiterhin näher zusammen – oder driften wir langsam auseinander? Besprecht solche Fragen z.B. im Rahmen eines Candle Light Compass (siehe mein kostenloses relationship Workbook).
- Bedürfnisse von anderen: Insbesondere, wenn ihr eine hierarchische
Beziehunngsform habt und zB. eure Beziehung öffnet, vergesst bitte nicht: Auch Dating-Partner:innen haben Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen – die verdienen genau so viel Wertschätzung und Respekt. Ein Beispiel: Wenn dir jemand ein Nacktbild schickt, heißt das nicht automatisch, dass du es mit deinem:r Partner:in teilen darfst. Und Menschen, die in eure Beziehungskonstellation kommen, fühlen sich manchmal wie Außenseiter:innen. Sprich mit ihnen. Frag nach ihren Gefühlen,
Wünschen und Grenzen – und nimm sie genauso ernst.
Schau auch auf meinen anderen Beiträgen zu Bindungstypen oder dem Umgang mit Triggern und Eifersucht vorbei.
Willst du deine Beziehung öffnen oder hast du Schwierigkeiten damit, ohne euch gegenseitig zu verletzen? Hast du mit Eifersucht zu kämpfen? Buche eine Kennenlern-Sitzung, um deine individuellen Herausforderungen und Ziele zu besprechen.