Bindungstypen

Im feinen Gewebe menschlicher Verbindung wirken Bindungsstile wie leitende Fäden. Sie weben die Muster von Intimität, Autonomie und Sicherheit in unsere Beziehungen. Entstanden in unseren frühesten Lebensjahren, formen diese psychologischen Blaupausen, wie wir lieben, wie wir unsere Bedürfnisse ausdrücken und wie wir zwischen Bindung und Autonomie navigieren. Bevor wir dir erklären, worum es genau geht, kommt hier ein kleines Quiz. Kreise den Buchstaben am Ende jeder Aussage ein, wenn du aus dem Bauch heraus spürst, dass sie auf dich zutrifft:

QUIZ*
  • Ich genieße es, anderen nahe zu sein. Es fällt mir leicht, emotionale Verbindungen zu knüpfen. A
  • Ich sehne mich nach Nähe, aber wenn die Intimität zunimmt, werde ich manchmal ängstlich überwältigt. D
  • In Konflikten ziehe ich mich meistens eher zurück, mache zu, blocke ab oder werde sehr still. C
  • Ich möchte in einer Beziehung sein und Nähe erleben – aber nur bis zu einem
    gewissen Punkt. Dann brauche ich dringend Abstand. C
  • Auch wenn mein:e Partner:in sich sicher und vertrauensvoll verhält, fühle ich mich in Beziehungen oft nicht wirklich sicher. D
  • Ich kann gut vom Zusammensein ins Alleinsein wechseln – aber schwer zurück in Verbindung. C
  • Meine Autonomie, Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit sind mir sehr wichtig. C
  • Ich fühle mich wohl in Verbindung – und wünsche mir meist mehr Nähe als mein:e Partner:in. B
  • Ich habe das Gefühl, immer die Person zu sein, die sich am meisten kümmert. B
  • Ich werde häufig durch Dinge getriggert, die für andere aus dem Nichts kommen. D
  • In Konflikten schwanke ich zwischen Überforderung, Aggression und Rückzug. D
  • Ich kann mich gut auf andere verlassen – und fühle mich auch wohl, wenn andere sich auf mich verlassen. A
  • Es ist mir unangenehm, auf Partner:innen angewiesen zu sein – oder wenn sie sich auf mich verlassen. C
  • Ich weiß oft nicht, was ich fühle oder brauche – und nehme auch bei anderen
    solche Signale öfter gar nicht wahr. C
  • Ich bin sehr feinfühlig für andere & spüre kleinste emotionale Veränderungen. B
  • Ich hab keine Angst, verlassen zu werden – oder dass mir jemand zu nah kommt. A
  • Wenn ich im Ausnahmezustand bin, handle ich manchmal auf eine Weise, die mir selbst oder meinen Partner:innen schadet. D
  • Ich reagiere sehr sensibel auf alles, was nach Kontrolle oder Einschränkung meiner Freiheit durch meine:n Partner:in aussieht. C
  • Ich brauche viel Bestätigung, dass ich geliebt oder begehrt werde. Aber wenn ich sie bekomme, fällt es mir oft schwer, sie wirklich zu glauben. B
  • Ich erwarte oft das Schlimmste in Beziehungen – selbst wenn eigentlich alles gut läuft. D
  • Der Übergang vom Alleinsein ins Zusammensein gelingt mir gut – aber danach wieder allein zu sein, fällt mir schwer. B
  • In Konflikten kann ich Verantwortung für meinen Teil übernehmen, mich
    entschuldigen, Missverständnisse klären, Lösungen finden und vergeben, wenn nötig. A
  • Ich mache mir oft Sorgen, verlassen, abgelehnt oder nicht genug geschätzt zu
    werden. B
  • Der Übergang vom Alleinsein ins Zusammensein gelingt mir gut – und auch der zurück ins Alleinsein ist kein Problem. A

* Die Aussagen in diesem Quiz stammen aus dem Buch „Polysecure“ von Jessica Fern sowie dem Podcast „On Attachment“ von Stephanie Rigg. Beide Quellen sind sehr empfehlenswert, wenn du tiefer in das Thema eintauchen möchtest

Zähle, wie oft du jeden Buchstaben markiert hast:
A: _____
B: _____
C: _____
D: _____

Möglicherweise zeigt sich eine Tendenz zu einem, zwei oder drei Buchstaben. Jetzt ist es Zeit, den Schleier zu lüften und diese Tendenzen besser zu verstehen. Bitte denk daran: Dieses Quiz gibt nur einen groben ersten Eindruck. Bei einigen Teilnehmer:innen unserer Workshops zeigte sich ein etwas anderes, differenzierteres Bild, nachdem wir tiefergehende Fragen gestellt haben.

 
DIE VERSCHIEDENEN BINDUNGSSTILE

Die Bindungstheorie, entwickelt von den Psycholog:innen John Bowlby und Mary Ainsworth, geht davon aus, dass unsere frühen Erfahrungen mit Bezugspersonen unsere späteren Bindungsmuster prägen. Diese Bindungsstile – sicher, unsicher- ambivalent, unsicher-vermeidend und unsicher-desorganisiert – geben Hinweise darauf, wie wir Nähe suchen, mit Konflikten umgehen und Emotionen in erwachsenen Beziehungen regulieren.

  1. Sichere Bindung (A): Menschen mit einem sicheren Bindungsstil fühlen sich wohl mit Nähe und Eigenständigkeit. Sie vertrauen ihrem:r Partner:in, kommunizieren offen und holen sich bei Bedarf Unterstützung. So entsteht ein gesunder Ausgleich zwischen Autonomie und Verbundenheit.
  2. Unsicher-ambivalente Bindung (B): Diese Menschen sehnen sich nach Nähe und haben große Angst, verlassen zu werden. Sie neigen zu klammerndem Verhalten, suchen nach Bestätigung und fühlen sich schnell unsicher. Dabei verlieren sie oft ihre eigene Autonomie, um Verbindung aufrechtzuerhalten.
  3. Unsicher-vermeidende Bindung (C): Diese Menschen legen großen Wert auf Unabhängigkeit & meiden emotionale Nähe. Sie spielen die Bedeutung von Beziehungen oft herunter, vermeiden Verletzlichkeit & haben Schwierigkeiten, Bedürfnisse zu äußern. Autonomie wird bevorzugt, teils auf Kosten von echter Nähe.
  4. Unsicher-desorganisierte Bindung (D): Dieser Bindungsstil vereint Elemente des unsicher-ambivalenten und des unsicher-vermeidenden Stils. Diese Menschen sehnen sich nach Nähe, haben gleichzeitig aber große Angst vor Zurückweisung. Diese Ambivalenz und das Hin-und-her zwischen Rückzug und Annäherung ist eine Dynamik, die Beziehungen oft instabil und emotional herausfordernd macht.
 
DURCH DEN STURM: HERAUSFORDERUNGEN BEI UNTERSCHIEDLICHEN
BINDUNGSSTILEN

Jeder Bindungsstil hat eigene Stärken und Herausforderungen – doch kaum eine Dynamik ist so spannungsgeladen wie die zwischen unsicher-ambivalenten und unsicher-vermeidenden Partner:innen. Eine Person sehnt sich nach Nähe und Bestätigung, die andere braucht Unabhängigkeit und Raum. Ein klassischer Konflikt zwischen Intimität und Autonomie, bei dem sich beide oft missverstanden und emotional unerfüllt fühlen. Konflikte entstehen hier meist aus unterschiedlichen Bedürfnissen und Kommunikationsmustern: Das Nähebedürfnis der ambivalent gebundenen Person aktiviert beim vermeidenden Gegenüber den Rückzugsimpuls. Ein Teufelskreis aus Nähe und Distanz entsteht: Je mehr Person A Verbindung sucht, desto mehr zieht sich Person B zurück – und das verstärkt wiederum Gefühle von Verlassenwerden und Unsicherheit bei Person A.


WO NÄHE UND FREIHEIT SICH TREFFEN

Zu verstehen, welcher Bindungstyp wir sind, kann ein echter Gamechanger für unsere Beziehungen sein. Es hilft uns, Muster zu erkennen, die uns vielleicht schon lange begleiten – und bringt mehr Bewusstheit in das feine Zusammenspiel von Autonomie und Verbindung. Hier ein paar Impulse für euren Weg:

  1. Selbstreflexion: Frag dich ehrlich: Kannst du Nähe gut zulassen? Kannst du Freiraum genauso gut zulassen oder fürchtest du, verlassen zu werden? Dein Bindungsstil muss dich nicht definieren – aber er kann dir helfen, dich selbst besser zu verstehen. Und das ist die Basis für jede gesunde Beziehung..
  2. Ehrliches Miteinander: Sprecht miteinander über eure Bindungsmuster – und was sie für euch bedeuten. Wenn ihr euch offen zeigt, entsteht ein Raum für echtes Verständnis. Gerade bei Konflikten kann dieses Wissen Gold wert sein: Plötzlich seht ihr nicht mehr nur das Verhalten, sondern erkennt das Bedürfnis dahinter.
    Tipp: Nehmt das Thema gerne mit in euren nächsten Candle Light Compass (siehe mein kostenloses Relationship Workbook).
  3. Klare Grenzen: Gute Grenzen sind keine Mauern – sie schaffen Klarheit und Sicherheit. Sagt einander, was euch wichtig ist. Und hört auch zu, wenn’s um die Grenzen des anderen geht. So entsteht eine Beziehung, in der Unabhängigkeit und Nähe sich nicht ausschließen, sondern ergänzen. Wichtig dabei: Jeder Bindungsstil ist eine Strategie, um sich wieder sicher zu fühlen. Niemand ist „falsch“ oder „schuld“, weil er oder sie bestimmte Muster erlernt hat, denn keiner kann etwas für seine Kindheit. Aber: Wir können neue Wege lernen, um unser Nervensystem zu beruhigen – allein und miteinander.
  4. Emotionale Selbstregulation: Lerne, bewusst mit deinen Gefühlen umzugehen – besonders in Momenten von Konflikt oder Verletzlichkeit. Hilfreich sind Techniken zur Selbstberuhigung wie tiefes Atmen, achtsames Innehalten oder körperliche Erdung. Bei besonders starken emotionalen Reaktionen kann mein Beitrag zum Umgang mit Triggern helfen. Bei Menschen mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil entsteht oft aus dem Vermeidungsmuster gar nicht das Gefühl, dass etwas reguliert werden müsste. „Ich hab ja kein Problem, du willst ja Bindung, ich nicht…“.

Wenn in einer Beziehung unterschiedliche Bindungsstile aufeinandertreffen, braucht es vor allem Geduld, Empathie und ehrliche Kommunikation. Alle sollten bereit sein, ihre eigenen Muster zu erforschen – und zu erkennen, wie sie zur Beziehungsdynamik beitragen. Hilfreich ist dabei auch Paartherapie, da hier ein Blick von außen auf eure Dynamik geworfen werden kann, sodass ihr lernt einen Raum zu kreieren, in dem Intimität und Autonomie nebeneinander bestehen dürfen. Das Wichtigste im Umgang mit Bindungsstilen ist: Versteife dich nicht darauf. Was bedeutet das konkret? Analysiere nicht alles zu Tode. Steck deine:n Partner:in nicht in eine Schublade. Sag nicht zu dir selbst: „Ich bin halt vermeidend, ich kann nicht anders.“ Dein Bindungsstil ist kein festes Etikett, sondern ein Spiegel deiner bisherigen Erfahrungen – und er kann sich verändern. Mit einer Person fühlst du dich vielleicht total sicher. Mit einer anderen reagierst du vermeidend, weil sie dich erdrückt. Dein Stil ist kontextabhängig – und veränderbar. Sie lassen sich verlernen – und durch neue, sichere Erfahrungen ersetzen.

Wenn du Begleitung bei den Herausforderungen deiner Beziehung suchst, buche gern eine Kennenlern-Sitzung bei mir:

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